Tragen wir nicht alle die Vision im Herzen, unsere Rechtssprechung so zu gestalten, dass sie Menschlichkeit, Füreinander-Sorgen und auch die Sicherheit in unserer Gemeinschaft mit einbezieht? Wie kommen Menschen miteinander in Verbindung, selbst im Angesicht von Verbrechen und Gewalt? Eine hoffnungsvolle Antwort kommt aus Brasilien: Gespräche im Kreis, sogenannte Restorative Circles.
Restorative Circles ist ein Prozess, der von Dominic Barter in Brasilien entwickelt wurde. Seit 1994 zeigt Barter neue Wege zu Eigenverantwortung und Heilung auf. Restorative Circles bringen Täter, Opfer und deren Umfeld in einem Kreis zusammen und laden sie zum Gespräch ein. Miteinbezogen werden alle, die auf irgendeine Weise betroffen sind.
Das können Familienmitglieder, Freunde, Kollegen sein, aber auch Nachbarn, Polizisten, Sozialarbeiter oder Zeugen. Einfach alle, die direkt oder indirekt mit dem Konflikt zu tun haben. Barter: „Man betritt den Kreis als Mensch und lässt seine Rolle zuhause. Man kommt freiwillig, mit der Absicht, Verantwortung für das Geschehene und das Kommende zu übernehmen.“ Diese Absicht bringt den Prozess in Gang.
Der Kreis als Kraftwerk
Im Kreis treffen sich die Betroffenen meistens zum ersten Mal seit dem Vorfall – dem Diebstahl, dem Raubüberfall, dem Mord. Im Kreis gibt es keine Rollen; alle Teilnehmer sind gleichberechtigt und haben deshalb auch gleich viel zu sagen. Das allein führt zu einer besonderen Art von Gespräch. Offener, direkter, viel persönlicher. Die erste Frage eröffnet den Dialog und ist keine Anschuldigung: „Wie geht es dir jetzt mit dem, was damals passiert ist?“ Es geht dabei nicht nur ums Mitteilen, sondern auch ums Gehört Werden. Restorative Circles bieten allen Teilnehmern die Gelegenheit sich mitzuteilen; jeder darf sprechen. Es gibt nur Teilnehmer, keine Zuschauer. Es gibt kaum Regeln, nur klare Fragen und einfache Schritte. Restorative Circles haben oft eine tiefgreifende Auswirkung auf die Gemeinschaft. Der Prozess jedoch ist unkompliziert und direkt. Jeder der sich betroffen fühlt, kann teilnehmen. Ohne spezielle Ausbildung.
„Ich kann mich in dir sehen“
Ein Beispiel aus der Praxis von Dominic Barter in Rio de Janeiro zeigt, wie Restorative Circles funktionieren können. Dominic Barter: „Letzte Wochen saß ich mit einem 16-jährigen, seiner Großmutter, seinem Vater und dessen Freundin, einem Polizisten, dessen Frau und Sohn sowie einem Jugendgefängnisarbeiter im Kreis. Der junge Mann hatte gemeinsam mit einem Freund versucht, den Polizisten mit seinem Auto zu kidnappen und zu berauben. Auf dem Weg zum Bankautomaten, zog der Polizist eine versteckte Waffe und schoss den Angeklagten ins Bein. Der junge Mann wurde verhaftet, sein Freund entkam. In Rio de Janeiro ist so etwas kein außergewöhnlicher Vorfall. Im Kreis beginnen wir mit dem ersten Schritt: gegenseitiges Verständnis.“
Jeder im Kreis spricht so lange, bis er sich wirklich gehört fühlt und weiß, dass der andere ihn verstanden hat. Dadurch entsteht die Verbindung, die eine Basis für die weiteren Schritte bildet. „Ich kann mich in dir sehen“, antwortet der Jugendliche dem Polizisten auf die Frage, ob der Polizist ihn wirklich verstanden hat. Dann erzählt der Polizist wie es ihm seit dem Vorfall ergangen ist – und der Junge hört zu. Nach ihm sprechen alle anderen, die etwas zu sagen haben. Im Mitteilen und Zuhören entfaltet sich die Menschlichkeit, die wir alle teilen.
Jeder fühlt sich als Opfer
Der zweite Schritt der Restorative Circles heißt Selbstverantwortung. Die Teilnehmer werden aufgefordert sich zu erinnern, warum sie so gehandelt haben, und darüber zu sprechen. So hört jeder die Absichten der anderen. „Warum hast du das getan, warum so, warum ich?“ sind wichtige Fragen für Opfer von Gewalt. In dieser Phase geht es um Antworten. Auch gibt es Raum für Trauer und den Ausdruck von tiefer Reue für den verursachten Schmerz. Hier findet die Heilung statt. Für Opfer und für Täter (die sich oft auch machtlos und chancenlos fühlen). Eine andere Frage, die Antworten findet: „Welche Bedürfnisse wurden durch den Vorfall nicht erfüllt?“
„Was ich gerne für dich täte…“
In der dritten Phase geht es ums Handeln. Was können wir für einander tun? Was bietest du wem an, und was hättest du gern vom anderen? Im Fall des misslungenen Kidnappings gibt es eine Liste von Vereinbarungen. Die Großmutter erzählt dem Jungen von seiner kürzlich verstorbenen Mutter. Der Vater verbringt mehr Zeit mit ihm. Der Polizist hält einen Vortrag im Jugendgefängnis. Der Jugendliche hält einen Vortrag bei der Polizei, legt Lernziele für seine Zeit im Gefängnis fest und wird bei seiner Suche nach einer Schule unterstützt. Der Bewährungsrichter erhält die getroffenen Vereinbarungen. Die Absicht in dieser letzten Phase im Kreis ist, die verletzten Gefühle von Würde und Gerechtigkeit zu heilen und neue Beziehungen aufzubauen. Bei jedem einzelnen Betroffenen und in der Gemeinschaft. Es geht also nicht um Strafe für einen, sondern um Heilung für alle Beteiligten.
Dieser Prozess bringt Menschen in Konfliktsituationen wieder in Verbindung, selbst wenn ihr tägliches Leben von Verbrechen und Gewalt bestimmt ist.
Täter, Opfer und deren Umfeld treffen sich im Kreis – und kommen ins Gespräch. Mit erstaunlichen Ergebnissen.
In Brasilien werden Restorative Circles sehr erfolgreich eingesetzt, in Schulen, Gefängnissen, Firmen und Familien.
www.restorativecircles.de